Zwangsumzüge mit Kindern verhindern – Kindeswohl gewährleisten (I)

Drucksache 17 / 10 730 - Kleine Anfrage der Abgeordneten Elke Breitenbach und Katrin Möller (LINKE)

Drucksache 17 / 10 730

Kleine Anfrage der Abgeordneten Elke Breitenbach und Katrin Möller (LINKE)

vom 09. Juli 2012 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 10. Juli 2012) und Antwort

Zwangsumzüge mit Kindern verhindern – Kindeswohl gewährleisten (I)

Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt:

1. Welchen Stellenwert hat das Kindeswohl für den Senat, wenn es um kinder- und familienfreundliches Wohnen geht, und wie berücksichtigt der Senat dies bei seinen Entscheidungen wie z.B. über die Rechtsver- ordnung zu den Kosten der Unterkunft? Welche Spiel- räume zur Berücksichtigung des Kindeswohls haben die zuständigen Ämter auf Grundlage der geltenden „Wohnungsaufwendungsverordnung“?

2. Wie wird das Kindeswohl berücksichtigt, wenn die Wohnung einer Familie nach Auffassung der Jobcenter „zu teuer“ ist und welche Härtefallregelungen können geltend gemacht werden, um Zwangsumzüge für Familien mit minderjährigen Kindern (einschließlich Allein- erziehende und Schwangere) zu vermeiden?

Zu 1. und 2.: Familiengerechtes Wohnen, gerade zum Wohle der Kinder, hat für den Senat einen hohen Stellen- wert. Zum Beispiel werden im Rahmen des Quartiers- managements zahlreiche Projekte zur Herrichtung von Spiel- und Freiflächen für Kinder im Wohnumfeld unter- stützt.

Der Senat hat hinsichtlich des Erhalts von Wohnraum mit § 6 Absatz 2 der Wohnaufwendungenverordnung (WAV) einen besonderen Wohnraumbedarf z. B. für Alleinerziehende und Schwangere, aber auch wegen Be- stehens wesentlicher sozialer Bezüge (z. B. Schulweg von Kindern, Betreuungseinrichtungen, Kindertagesstätten) generell anerkannt. In diesen Fällen wird eine Erhöhung der geltenden Richtwerte bei der Angemessenheits- prüfung einer Miete um 10 % zugelassen. Die AV- Wohnen bestimmt darüber hinaus in Ziffer 4, dass Maß- nahmen zur Kostensenkung bei Alleinerziehenden mit zwei und mehr Kindern grundsätzlich nicht verlangt werden können, es sei denn die Miete ist so hoch, dass das öffentliche Interesse an der Kostensenkung überwiegt.

In der AV-Wohnen finden sich weitere Hinweise, von denen insbesondere Familien und Alleinerziehende profitieren. So kann beispielsweise die Notwendigkeit eines Umzugs, den die Haushalte mit Kindern selbst wünschen, anerkannt werden bei unzumutbar beengten Wohnverhältnissen gemäß Ziffer 7.2 Absatz 5 Buchstabe f) AV-Wohnen. Hier ist sowohl geregelt, dass Kindern eigener Wohnraum zur Verfügung stehen muss als auch, dass zukünftig entstehender Wohnraum(mehr-)bedarf bei Schwangerschaft zu berücksichtigen ist.

3. Welchen Anteil (absolut und prozentual) haben Familien mit minderjährigen Kindern am Gesamtumfang der Bedarfsgemeinschaften, deren Wohnkosten nach den geltenden Regelungen zu hoch ist? (bitte nach Be- zirken/Jobcentern aufschlüsseln)

4. Bei wie vielen Familien mit minderjährigen Kindern wurden die Kosten der Unterkunft in den Jahren 2010, 2011 und im ersten Halbjahr 2012 nach dem Kostensenkungsverfahren auf den festgelegten Richtwert festgesetzt? (bitte nach Bezirken/Jobcentern auf- schlüsseln)

Zu 3. und 4.: Diese Daten werden von der Bundes- agentur für Arbeit nicht erfasst und ausgewertet. Sie liegen auch im Rahmen des durchgeführten Controllings nicht vor, da das Controlling zum Ziel hat, die not- wendigen Geschäftsprozesse in den Jobcentern sowie die einzelnen Arbeitsschritte, die zur Feststellung der Ange- messenheit und der ggf. notwendigen Kostensenkung erforderlich sind, transparent zu machen. Daher wird eine gesonderte Erfassung nach der unterschiedlichen Zu- sammensetzung von Bedarfsgemeinschaften nicht vor- genommen.

5. Wie viele Zwangsumzüge wurden 2010, 2011 und im ersten Halbjahr 2012 angeordnet, wie viele Familien mit minderjährigen Kindern waren davon betroffen und in wie vielen dieser Fälle wurde der Zwangsumzug voll- zogen? (bitte auflisten nach Bezirken/Jobcentern)

Zu 5.: Sofern die Kosten für Unterkunft und Heizung auch individuell unangemessen sind, werden die Leistungsbeziehenden aufgefordert, die Kosten zu senken. Dies kann auf unterschiedliche Art, auch durch einen Umzug geschehen. Erzwingen lässt sich ein Umzug nach der geltenden Rechtslage nicht. In 2010 wurden 1.195 Kostensenkungen durch einen Umzug realisiert, im Jahr 2011 waren es 1.337 und im ersten Halbjahr 2012 waren es 460. Wie viele Familien mit minderjährigen Kindern darunter waren, ist nicht bekannt.

6. Bei wie vielen der unter 5. erfragten Bedarfs- gemeinschaften konnten durch Sonder- und Härtefall- regelungen Zwangsumzüge verhindert werden? (bitte nach Bezirken/Jobcentern aufschlüsseln)

7. Wie viele Familien mit minderjährigen Kindern, deren Wohnung „zu teuer“ ist, haben von ihrem Ein- kommen zusätzliche Mittel aufgebracht, um den Differenzbetrag zwischen bewilligten und realen Wohn- kosten zu schließen, und wie hoch ist dieser Differenz- betrag im Durchschnitt?

Zu 6. und 7.: Eine gesonderte Erfassung nach Be- darfsgemeinschaftszusammensetzung erfolgt nicht.

8. Auf wessen Kosten geht es nach Auffassung des Senats, wenn Familien wie unter 7. beschrieben verfahren müssen bzw. wie bewertet der Senat die Auskömmlich- keit des Regelsatzes, um Differenzen zwischen erlaubten und tatsächlichen Wohnkosten auszugleichen?

Zu 8.: Es ist nicht erfasst, ob überhaupt oder ggf. in wie vielen Fällen tatsächlich eine Zuzahlung von den Betroffenen vorgenommen wird. Wenn dies tatsächlich so sein sollte, weil im Einzelfall die unter der Antwort zu Frage 1. und 2. beschriebenen Härtefalltatbestände der W A V nicht greifen, erfolgt dies in der Regel aus nicht anrechenbarem Einkommen.

9. Welchen Stellenwert hat für den Senat die Sicherung von kindgerechtem und bezahlbarem Wohn- raum für Familien mit minderjährigen Kindern, die auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind bzw. ein geringes Einkommen beziehen, bei der Ausgestaltung einer sozialverträglichen Wohnungs- und Mietenpolitik in allen Bezirken?

Zu 9.: Die Sicherung angemessener Wohnverhältnisse für Familien ist seit jeher ein Kernstück der Berliner Mieten- und Wohnungspolitik.

Die Förderung des Sozialen Wohnungsbaus und die Förderung der Modernisierung und Instandsetzung von Wohnungen bis zum Anfang des Jahrtausends waren gerade auf die Wohnraumversorgung von Familien aus- gerichtet. Durch die Wahrnehmung von bestehenden Belegungsbindungen bei geförderten Wohnungen wird speziell für einkommensschwächere Haushalte Wohn- raumgesichert.

Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Berlin bewirtschaften gerade auch familiengerechte Wohnungen. Sie sollen ihren Wohnungsbestand durch Neubau und Zukauf bis zum Ende der Legislaturperiode auf 300.000 Wohnungen erhöhen. Einen Teil ihrer freien Wohnungen sollen sie an wohnungssuchende Haushalte, die die Berliner Einkommensgrenzen für den Erhalt eines Wohn- berechtigungsscheins einhalten, höchstens zur ortsüb- lichen Vergleichsmiete vermieten.

Berlin, den 23. August 2012
In Vertretung

Michael B ü g e

Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales

(Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. August 2012)

Dateien